Die Buchautoren Kai Anderson und Jane Uhlig sprachen mit Deutsche Bahn-CEO Rüdiger Grube über Agilität und Veränderungen für „Das agile Unternehmen – Wie Organisationen sich neu erfinden“ (Campus Verlag)
UHLIG: Welche Veränderung in Ihrem Leben war besonders prägend für Sie?
GRUBE: Da gab es im Lauf der Jahre einige, aber ein Erlebnis war sicherlich prägend für mich: Meine Eltern ließen sich schon sehr früh scheiden. Damals hat meine Mutter dann den Bauernhof übernommen, um mich und meinen Bruder durchzubringen. Da stand wirklich das tägliche Überleben im Vordergrund. Wir wurden so erzogen, dass jeder seine Arbeit zu machen hat und Verantwortung übernehmen muss. Und ich erinnere mich noch gut an Szenen, als ich aus der Schule kam und meine Mutter nicht wusste, wie sie etwas auf den Tisch bekommen sollte. Dann hat sie mich mit einer Mark fünfzig zum Metzger geschickt, um Hack zu kaufen, das mit altem Brot zu Frikadellen gestreckt wurde. Meine Mutter hatte wirklich zu kämpfen, aber sie hat uns Kindern nie das Gefühl gegeben, dass etwas nicht geht oder man etwas nicht schaffen kann. Und wenn dir diese Überzeugung von klein auf vermittelt wird, dann hast du später im Leben zu allen Themen eine positive Einstellung. „Geht nicht“ gibt es dann nicht mehr!
UHLIG: Man hat dann ein sogenanntes Urvertrauen?
GRUBE: Du weißt einfach, dass du Probleme lösen kannst, wenn du es anpackst. Und wenn ich einmal nicht sofort eine direkte Lösung finde, dann hilft mir der Rat meiner wunderbaren Großmutter, die Immer sagte: „Wenn du nicht weiter weißt, schlaf mal eine Nacht drüber, am nächsten Tag geht es besser.“ Das hört sich vielleicht banal an, aber wenn du es vorgelebt bekommst, dann hast du dieses Verhalten verinnerlicht. Bei mir funktioniert es so bis heute.
UHLIG: Gab es Schlüsselerlebnisse?
GRUBE: Ja, mit zehn Jahren habe ich etwas erlebt, was mich nachhaltig geprägt hat. Damals ist meine Mutter im Krankenhaus gewesen und ich musste bei meiner Tante übernachten. Am Mittagstisch hat sie mich mal gefragt, was ich eigentlich später werden möchte. Und wie aus der Pistole herausgeschossen, habe ich geantwortet: Ich möchte gerne Pilot werden. Da hat sie schallend gelacht, den Kopf geschüttelt und gesagt: Wenn du Pilot werden willst, dann musst du doch Abitur haben – und du gehst doch gar nicht zum Gymnasium.
UHLIG: Diese Worte zu hören, war sicher nicht einfach für Sie…
GRUBE: Nein, dieses Erlebnis hat mich ziemlich lange verfolgt und in mir gebohrt. Irgendwann habe ich mir gesagt, dieser Frau zeige ich es. Ich begann dann eine Ausbildung bei der Hamburger Flugzeugbau GmbH der Familie Blohm. Schon damals habe gerne Verantwortung übernommen – zum Beispiel als Initiator und Redakteur einer Auszubildenden-Zeitung. Dort habe ich einmal einen Beitrag zum Thema Organspende geschrieben. Den hat zufällig Frau Bohm gelesen und sie wollte mich kennenlernen So wurde ich in die feine Blankeneser Villa der Familie Blohm zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Dort sagte mir Frau Blohm, dass sie sich von meinem Artikel angesprochen fühle. Sie fragte, ob ich Lust hätte, mit ihr zur Eröffnung einer Rehaklinik in Timmendorf zu fahren, die sie unterstütze? Natürlich sagte ich nicht nein, auf der Rückfahrt fragte sie mich dann, was ich einmal werden wolle. Ich antwortete das Gleiche wie damals meiner Tante: Dass ich Pilot werde wolle, dafür jedoch das Abitur bräuchte.
UHLIG: Und was passierte dann?
GRUBE: Am nächsten Tag wurde ich zum Chef ins Büro gerufen, zu Werner Blohm. Der war nie ein Mann vieler Worte und fragt mich kurz und bündig: „Sind Sie mit 300 Mark im Monat einverstanden?“ Ich fragte: „300 Mark, wofür?“ Seine Antwort: „Sie schließen jetzt die Ausbildung ab, ab dann kriegen Sie 300 Mark und studieren Flugzeugbau.“
UHLIG: Das war ein großes Glück für Sie! Und vor allem steuernd in die Zukunft…
DR: GRUBE: Das war wie ein Lottogewinn. 300 Mark! Werner Blohm fügte hinzu: „Aber nur unter zwei Bedingungen: Erstens will ich alle Semesterzeugnisse sehen und zweitens arbeiten Sie in den Ferien bei mir.“ Da habe ich überglücklich gesagt: „Sie können sich gerne noch etwas Drittes einfallen lassen, das mache ich auch noch.“ Das Studium war anfangs kein Zuckerschlecken für mich, ich hatte große Probleme mit Mathematik, habe mit dem Mathe-Duden gepaukt, aber die Mühe hat sich gelohnt: am Ende habe ich als einer der Besten abgeschnitten. Später habe ich noch Berufs- und Wirtschaftspädagogik sowie BWL studiert.
ANDERSSON: Sie haben also schon zu Studienzeiten Veränderung gelebt, richtig?
GRUBE: Ja, ich wollte etwas bewegen, ich wollte etwas verändern und bin dann später wieder zurück zur Hamburger Flugzeugbau GmbH, die inzwischen im Unternehmen Messerschmitt-Bölkow-Blohm aufgegangen war. Ich kam dort auch ziemlich schnell vorwärts und war bald einer von drei Führungskräften im gesamten Diversifikationsbereich.. Aber mit drei Kapitänen ist es auf der Brücke manchmal schwierig. Also habe ich mein Schicksal selbst in die Hand genommen.
ANDERSON: Was haben Sie unternommen?
GRUBE: Hartmut Mehdorn war damals der Chef von Airbus im MBB-Konzern, er begeisterte mich in seiner ganzen Art. Nach langem Hin und Her hatte ich endlich einen Termin in seinem Büro bekommen. Er begrüßte mich und fragte, was denn mein Anliegen sei. „Herr Mehdorn, ich möchte gern für Sie arbeiten!“, Worauf er trocken erwiderte: „Das möchten viele.“ „Ja, aber ich arbeite drei Monate umsonst für Sie. Wenn ich mein Geld wert bin, können Sie mich anschließend bezahlen, ansonsten können Sie mich rausschmeißen“, entgegnete ich. Mehdorn war einigermaßen perplex: „So hat sich noch keiner bei mir beworben, Sie sind eingestellt.“ Erst als ich nachfragte „und als was“ erfuhr ich, dass er eine ganz bestimmte Stelle zu besetzen hatte, er suchte nämlich nach seiner „rechten Hand.“ Das Gespräch fand übrigens im selben Raum statt, wo mir Herr Blohm seinerzeit die 300 Mark zugesagt hatte. Das war wohl ein gutes Omen! Mit Mehdorn habe ich dann sehr gut und sehr lange zusammengearbeitet.
ANDERSON: Er war Airbus-Chef, später dann Vorstand bei der Deutschen Aerospace AG (DASA). Wie erlebten Sie mit Herrn Mehdorn Veränderungen?
GRUBE: Wir hatten bei Airbus damals das Ziel, die Produktion des Airbus A 321 nach Deutschland zu holen. Zwei Jahre haben wir verhandelt bis es uns schließlich gelungen war. den Airbus A 321 nach Hamburg Finkenwerder zu holen. Das war im Grunde der Auslöser, um den Standort Hamburg Finkenwerder auszubauen. Eine spannende Phase war das, in dem ich an Veränderungen mitwirken konnte, die weitreichende Folgen haben sollten. Ich bin dann Hartmut Mehdorn zur DASA gefolgt. 1995 hat er dann leider das Unternehmen verlassen als Jürgen Schrempp Vorstandsvorsitzender von Daimler wurde.
UHLIG: Jürgen Schrempp – auch so eine starke Persönlichkeit… Er hat viel bewegt. Was erlebten Sie mit ihm?
GRUBE: Jürgen Schrempp lernte ich bei der DASA kennen, wo er Vorstandsvorsitzender war. Eines Tages fragte er mich, was ich von seiner Mobilitäts-Kampagne halten würde. Ob ich ehrlich oder freundlich antworten solle, fragte ich zurück. Natürlich wollte er meine ungeschminkte Meinung hören, ich hielt mit meiner kritischen Sicht dann auch nicht hinter dem Berg. Mit dem Ergebnis, dass ich meine Einschätzung zwei Wochen später bei einer Vorstandssitzung vortragen durfte. Kurz danach rief mich Jürgen Schrempp an: „Ich möchte gerne, dass Sie Direktor bei mir werden, und zwar für Planung und Technologie“.
Uhlig: … und dann ging Mehdorn, richtig?
GRUBE: Ja, auf einmal war ich allein dort. Ein Jahr später, 1996, meldete sich Jürgen Schrempp, der ja inzwischen Chef bei Daimler geworden war, erneut bei mir und trug mir den Bereich Konzernentwicklung bei Daimler an. Ich hatte sowas noch nie gemacht. „Egal“, sagte er, „Sie kriegen drei Monate Zeit, um den Daimlerkonzern zu untersuchen und zu studieren. Dann sagen Sie mir, was ist hier schlecht und was gut ist.“ Das fand ich sehr mutig und das habe ich dann gemacht.
UHLIG: Ging das gut? Das hört sich doch an, als hätten Sie wieder im Zentrum großer Veränderungen gestanden?
GRUBE: Drei Monate später lud mich Schrempp in den Daimler-Vorstand ein und stellte mich kurz vor: „Der Herr Grube hat von mir den Auftrag bekommen, mal zu untersuchen, was bei uns gut ist und was schlecht ist. Und das präsentiert er jetzt.“ Und anschließend verkündete er vor versammelter Mannschaft, dass ich ab dem folgenden Tag Chef der Konzernentwicklung sei.
ANDERSON: Was mussten Sie – als neuer Chef Konzernentwicklung – zuerst verändern?
GRUBE: Meine erste Aufgabe war die Verschmelzung von Daimler Benz und Mercedes Benz. Jürgen Schrempp wurde dann Vorstandvorsitzender von Daimler. 2001 bin ich dann selbst Vorstand geworden.
UHLIG: Später waren Sie dann maßgeblich an der Geburt der EADS beteiligt. Wie lief das ab?
GRUBE: Das ging damals hoch her zwischen den Franzosen und uns. Dier französische Seite hatte Probleme mit der manchmal burschikosen Art von Jürgen Schrempp, ich habe damals viel im Hintergrund verhandelt und zusammengeführt, bis wir den Deal unter Dach und Fach hatten. So entstand die neue Corporate Governance von EADS.
ANDERSSON: Und das Konstrukt funktioniert.
GRUBE: Es funktioniert sehr gut, und ich hätte meinen Job als Chairman, den ich 2007 bei der EADS übernommen habe. auch gerne weitergemacht. Aber als mich Frau Merkel dann ansprach, ob ich die Deutsche Bahn führen wolle, bin ich vom Flugzeug zur Bahn umgestiegen. Wieder einmal eine große Veränderung!
ANDERSSON: Ich hake aber nochmal nach. Sie haben Herrn Schrempp im Grunde genommen kennengelernt über die Kritik an seiner Mobilitäts-Kampagne, haben dann aber bei Daimler eigentlich die Fusion mit Chrysler begleitet. Wie hat das zusammengepasst?
GRUBE: Es gab ja damals gute Gründe für die Fusion. Daimler war seinerzeit in einer bedrohlichen Lage: VW hat zu dieser Zeit allein auf der Plattform von VW Golf doppelt so viele Fahrzeuge hergestellt wie wir. Da haben wir bei Daimler gesagt, wir brauchen einfach eine Skaleneffekt-Strategie. Die USA als der größte Markt waren für uns deshalb besonders attraktiv. Wir haben uns Ford, GM und Chrysler angeguckt. Ford war zu stark, GM zu groß. Und Chrysler war damals der Blue Chip, die haben 35 Milliarden Umsatz gemacht, Daimler machte 55 Milliarden Umsatz. Und das passte sehr gut.
ANDERSON: Aber der 11. September verändert dann alles…
GRUBE: Ja, die Welt hatte sich danach grundlegend verändert. Die Automobilbranche in den USA hat sofort die Folgen zu spüren bekommen. Das hat schnell den ganzen Konzern verändert. Irgendwann habe ich zu Jürgen Schrempps Nachfolger Dieter Zetsche gesagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Ich habe dann die Aufgabe übernommen, die beiden Unternehmen wieder auseinander zu dividieren.
UHLIG: Herr Dr. Grube, Sie haben in Ihrer Karriere viele Herausforderungen gemanagt – welches Rezept hat Sie geleitet?
GRUBE: Es gab da nie das eine Rezept, die Herausforderungen waren ja auch ganz unterschiedlich. Ich glaube, es ist vor allem entscheidend, wie man selbst verfasst ist. Das ist wie beim Tausendmeterlauf. Ich bin Langstrecken-Läufer. Auf der Schlussgerade muss man sich immer wieder sagen: Ich will gewinnen. Und Gewinnen beginnt im Kopf. Stellen Sie sich mal vor, ich hätte den Deal, die Trennung von Chrysler, nicht hinbekommen? So etwas müssen Sie auch durchleben und durchstehen können.
UHLIG: Und wie ging es Ihnen dabei?
GRUBE: Das waren zum Teil dramatische Stunden, wo alles auf des Messers Schneide stand. In dieser Zeit, als wir Chrysler verkauft haben, waren wir oft an einen Punkt, an dem ich auch keine Lösung mehr hatte. Sie sitzen nachts um 12 Uhr im großen Besprechungsraum nach stundenlangen Verhandlungen und keiner weiß, wie es weitergeht. Und dann half das Motto meiner Großmutter: „Schlaf eine Nacht drüber.“ Am nächsten Morgen hatten wir fast immer eine Lösung.
ANDERSSON: Sie haben als Vision in den Raum gestellt, dass die Deutsche Bahn das führende Mobilitäts- und Logistikunternehmen weltweit werden wird. Das ist ja auch ein ambitioniertes Ziel. Wie wichtig ist das für die Belegschaft und wie real ist das Ganze für die Belegschaft als ehemaliger Staatskonzern?
GRUBE: Das ist ein ehrgeiziges Ziel, was sie nur erreichen können, wenn die Belegschaft mitzieht. Da können wir bei der Deutschen Bahn allerdings auf eine lange und gute Tradition setzen. Als ich vor sechs Jahren zur Bahn kam, hat mich der Teamgeist der Mitarbeiter am meisten überrascht. Das heißt, der Spirit und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bahner.
ANDERSON: Aber Zusammengehörigkeit auch bei Veränderungen zu erzeugen, ist sicher nicht immer so einfach…GRUBE: Wir wollen die Mitarbeiter möglichst umfassend einbeziehen, auch in unsere Strategien. Zum Beispiel führen wir regelmäßig Mitarbeiterbefragungen durch. Unsere Strategie DB 2020 haben wir in 2012 verkündet, die haben wir vorher über mehr als ein Jahr lang erarbeitet mit über 15.000 Mitarbeitern und Führungskräften, die wir in Form von Zukunftskonferenzen, regionalen Zukunftsdialogen und Zukunftswerkstätten immer wieder eingebunden haben. Wo ist etwas nicht in Ordnung, wo müssen wir verändern? Am Ende sind daraus die drei Säulen unserer Strategie geworden: Wir wollen wirtschaftlicher Marktführer sein, Umweltvorreiter und einer der Top Ten Arbeitgeber werden. Das ist die Dach-Strategie, unter der dann die Geschäftsfelder wie Fernverkehr, Regio, Vertrieb, Schienengüterverkehr und so weiter ihre jeweilige Strategie abgeleitet haben.
UHLIG: Wie hat es die Deutsche Bahn immer wieder geschafft, so zukunftsfähig zu werden?
GRUBE: Auch wenn die Bahn lange Zeit ein Monopolist war – dem Wettbewerb mit dem Auto, dem Flugzeug und dem Bus musste sie sich auch schon in der Vergangenheit stellen. Und Wettbewerb bedeutet auch immer, bereit zu sein für Veränderungen. Die Mitarbeiter waren immer mit Leidenschaft dabei und haben sich in diesem Wettstreit für ihr Unternahmen engagiert.. Die Eisenbahn in Deutschland hat ja eine Geschichte, die vor 180 Jahren begann. Seitdem hat sich die Deutsche Bahn zu einem Unternehmen entwickelt, das 310.000 Mitarbeiter in 140 Ländern weltweit beschäftigt. Nennen Sie mir ein anderes deutsches Unternehmen, das nach 180 Jahren noch eine solche Bedeutung hat und so zukunftsfähig ist? Veränderung gehörte sozusagen immer zum Geschäft.
Wo die Bahn heute steht und morgen stehen wird, das ist nur zum Teil eine Leistung, der heutigen Akteure. Ganz entscheidend war die Bahnreform 1994. Damals wurde das Grundgesetz geändert mit dem Ziel, dass die Deutsche Bahn als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form zu führen ist. Bis 1994 war das eine Art Behörde und jede Investition musste vom Verkehrsminister genehmigt werden. Das war mit Wirkung vom 1. Januar 1994 nicht mehr der Fall. Seitdem haben wir eine eigene Bilanz, sind eine Aktiengesellschaft. Und der Eigentümer lässt sich in der Aufsichtsratssitzung vertreten. Wir führen die Company heute so, wie ich auch jedes andere Unternehmen mitgeführt habe. Nur wenn es um Infrastrukturthemen geht, wo auch viel Geld vom Staat mit einfließt, ist das anders. Die Organisationsform der AG war auch eine Grundvoraussetzung, dass wir überhaupt die Chance bekommen, in diesem Unternehmen Visionen zu verwirklichen.
UHLIG: Die Deutsche Bahn steht jetzt vor einem weiteren großen Umbruch, dem größten seit der Bahnreform haben Sie gesagt…
GRUBE: Ja, die Digitalisierung treibt momentan das ganze Unternehmen um, sie bietet enorme Chancen für die Bahn, ihren Service und ihre Angebote. Sie ist eine gewaltige Herausforderung für unser Geschäftsmodell. Ich bin an diesem Punkt zuversichtlich, auch weil wir uns entschlossen haben, neue Wege zu gehen. Wir haben beispielsweise sogenannte Labs aufgebaut, unsere Laboratorien für die digitale Zukunft: ein Mobilitäts-Lab in Frankfurt, ein Infrastruktur-Lab an der Berliner Jannowitz-Brücke, ein Transport -Logistik-Lab in Dortmund – und noch ein Lab für Produktion und für IT und Arbeitswelten 4.0. Das sind abgeschirmte Räume oder Gebäude, die wir für den Spirit der Turnschuhgeneration und Startup-Mentalitäten öffnen wollen. Wir haben uns dabei durchaus von Silicon Valley inspirieren lassen. Wir probieren viel aus, wenn die Produkte dann so sind, dass wir sagen, die haben wirklich eine Chance, einmal marktreif zu werden, dann machen wir das. Wenn nicht, ist der Punkt erledigt und wir nehmen uns das nächste Thema vor. Ein Beispiel ist der DB-Navigator oder Quixxit, eine Mobilitätsplattform, die wir bewusst nicht als DB gebrandet haben, sondern für viele unterschiedliche Anbieter geöffnet haben. Mit der können Sie Chauffeur, Car-Sharing oder auch E-Mobility buchen. Mittlerweile haben wir schon über 260 Digitalisierungsprojekte.
ANDERSON: Und zusätzlich zu dieser Herausforderung haben Sie jetzt gerade einen kompletten Umbau des Konzerns beschlossen und den halben Vorstand ausgewechselt. Was hat Sie zu diesem drastischen Schritt veranlasst?
GRUBE: Ich bin seit 6 Jahren an der Spitze der DB, wir hatten zwischenzeitlich auch eine sehr gute Bilanz und ein Eigenkapital von fast 16 Milliarden. Wir verdienen Geld, wir zahlen inzwischen eine jährliche Dividende an den Bund, aber wir mussten zuletzt mehrmals unsere Ziele korrigieren. Das hatte auch Gründe, die außerhalb unserer Einflussmöglichkeiten liegen – allein die Streiks der GDL seit dem Herbst 2014 haben uns insgesamt rund 500 Millionen Euro gekostet, die uns in unserem Ergebnis fehlen. Aber ich bin zunehmend zu der Erkenntnis gekommen, dass es davon abgesehen auch interne, strukturelle Schwächen gibt, die verhindern, dass wir unsere gesteckten Ziele erreichen
UHLIG: Wie ist die Vision, die Sie mit diesem Umbau verfolgen?
GRUBE: Auf den Punkt gebracht: Wir wollen schlanker, schneller, effizienter und noch kundenorientierter werden. Mit einer strafferen Führung, schlankeren Strukturen und einem stärkeren Fokus auf unsere Kunden wollen wir uns in die Lage versetzen, die sich in rasantem Tempo verändernden Herausforderungen in der Welt der Mobilität und Logistik erfolgreich meistern zu können. Man könnte auch sagen: Wenn sich um uns herum alles rasant verändert, müssen wir uns auch verändern – sonst haben wir keine Chance auf eine erfolgreiche Zukunft.
ANDERSON: Wo setzen Sie dabei konkret an?
GRUBE: Der Aufsichtsrat hat dazu ein Sechs-Punkte-Programm gebilligt, das ich ihm vorgelegt habe. Danach wird erstens der Konzernvorstand verkleinert, von acht auf sechs Mitglieder. Daneben wird zweitens die vor Jahren mit Blick auf einen möglichen Börsengang geschaffene DB Mobility Logsitics AG mit der Konzernholding DB AG zusammengeführt werden. Das reduziert Doppelstrukturen und aufwändige Abstimmungen. Drittens werden die Inhalte des bisherigen Ressorts Technik und Umwelt neu zugeordnet auf andere Ressorts.
Mit der Umorganisation wird viertens die Geschäftsverteilung im Vorstand neu geregelt. Mir war es wichtig, die Aktivitäten der integrierten deutschen Eisenbahn, also Personen- und Güterverkehr, stärker als bisher zu bündeln. Deshalb sind künftig im Ressort „Verkehr und Transport“. DB Fernverkehr, DB Regio, DB Vertrieb und – das ist neu – DB Schenker Rail, der Schienengüterverkehr vereint.
Weitere Punkte sind fünftens, dass wir die Servicefunktionen und internen Dienstleistungen im Konzern in einem DB Global Service Center neu ordnen. Hier geht es um eine bessere Transparenz, mehr Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Und schließlich eröffnen wir mit dem Umbau eine Option für eine Teilprivatisierung von DB Arriva und DB Schenker Logistics.
UHLIG: Und dieses Paket soll auch auf der Kostenseite Entlastung bringen?
Grube: Mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen sind gegenüber der bisherigen Planung weitere Einsparungen in Höhe von 100 Millionen Euro in der Konzernzentrale verbunden, so dass wir zusammen mit den bereits vorher beschlossenen Einsparungen jetzt bis 2020 allein über 700 Millionen Euro in der Zentrale und den zentralen Funktionen einsparen. Wie gesagt, wir werden schlanker und effizienter und was mir sehr wichtig ist: Wir wollen als Vorstand mit gutem Beispiel vorangehen.
UHLIG: Und was dürfen die Kunden von diesen Veränderungen erwarten?
GRUBE: Ich bin mehr denn je überzeugt: Die Bahn ist das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs. Und sie ist dank ihrer hervorragenden Umweltbilanz auch unverzichtbar für den Erfolg der Energiewende und das Erreichen der CO2-Ziele in Deutschland. Wir stellen uns jetzt neu auf, um diese wichtigen Aufgaben erfolgreich gestalten zu können. Wir wollen besser werden und unsere Kunden mit marktgerechten und kundenfreundlicheren Angeboten von diesen Vorteilen der Bahn überzeugen. Der öffentliche Verkehr verzeichnet seit zehn Jahren steigende Nutzerzahlen – wir wollen mit unseren Plänen auch diejenigen für die Bahn gewinnen, die bisher noch abseits stehen. Das ist ein Ziel, dem ich mich mit ganzem Einsatz widmen werde. Ich möchte, dass wir in unserem Brot- und Buttergeschäft noch viel besser werden. Deshalb krempeln wir unsere Ärmel hoch!