Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender der E.ON AG, im Gespräch mit den Buchautoren Kai Anderson und Jane Uhlig für „Das agile Unternehmen – Wie Organisationen sich neu erfinden“ (Campus Verlag)
UHLIG: Das Riesen-Wort AGILE im EON-Foyer sagt ja schon viel über die Veränderungsbereitschaft von E.ON aus…
TEYSSEN: Agile ist unsere Initiative, mit der wir unsere Mitarbeiter mobilisiert haben, als Unternehmer neue Geschäftsideen und Produkte zu entwickeln und erfolgreich zu vermarkten.
UHLIG: Wir hörten von dem agile-Projekt in Tansania? War es schwierig, dieses Konzept zu entwickeln und umzusetzen?
TEYSSEN: …Ich glaube, wir kommen auch dort gut voran. Mit „E.ON Off-Grid Solutions“ versorgen wir in Ostafrika Menschen, die bisher gar keinen Zugang zu Strom haben, mit lokal erzeugter erneuerbarer Energie. Die ersten Dörfer hat das Team um Daniel Becker in Tansania bereits angeschlossen. Die Stromanlage inklusive der ganzen Installationstechnik ist in einem Container untergebracht, der zentral in den Dörfern aufgebaut wird. Von dort werden die Kunden dann durch Eigenarbeit der Bevölkerung verkabelt und erhalten eine Strom-Box, die direkt in ihren Häusern installiert wird. Die Nachfrage ist groß, aber natürlich gehen wir mit diesem Projekt in Weltgegenden, die wir selbst bisher kaum kennen. Aber darum geht es bei „:agile“: Den Mut zu haben, neue Wege zu gehen und unorthodoxe Lösungen umzusetzen, die den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Ähnlich unkonventionelle Ideen laufen natürlich auch durch unsere agile-Unternehmer hier daheim in Deutschland.
UHLIG: Was bedeutet Veränderung generell für Sie?
TEYSSEN: Jede Veränderung hat zwei Seiten. Einerseits motiviert Veränderung und gibt neue Orientierung und andererseits beängstigt sie. Wenn Menschen erzählen, Veränderung ist immer nur toll, dann ist das schon biologisch falsch. Menschen brauchen an sich viel Stabilität, viel Sicherheit und viel Geborgenheit. Und je größer die Veränderung ist, desto mehr schwächen wir dieses Grundbedürfnis. Ich glaube, es ist daher wichtig, diese beiden menschlichen Bedürfnisse zusammenzuhalten – die Lust auf Neues und den Wunsch nach Geborgenheit. Also: Beides gut zu machen, beides auszuhalten und beides anzuerkennen.
ANDERSON: Würden Sie der Aussage zustimmen, dass EON in diesem Jahr so ziemlich die größte Veränderung seiner Firmengeschichte erfährt?
TEYSSEN: Ja, aber fast vergleichbar mit dem Ende des Konglomerats VEBA/Viag/E.ON vor rund 15 Jahren und der anschließenden Fokussierung auf Energie.
ANDERSON: Können Sie uns einen kurzen Einblick in die neue Ausrichtung von E.ON geben?
TEYSSEN: Die neue Aufstellung in zwei Unternehmen – E.ON und Uniper – ist getrieben von der Erkenntnis, dass die Energiewelt sich fundamental und unwiderruflich verändert. Dies ist ein Prozess, der weltweit stattfindet und den wir sorgfältig analysiert haben. Wir werden zwei Energiewelten haben – und haben sie teils schon heute: Eine in Bezug auf die Kunden, die lokale individuelle Lösungen erwarten. Diese Lösungen erfordern eine ganz andere Vernetzung der Energieprozesse, als wir sie bisher kannten – von der Produktion über den Transport bis hin zum Konsum. Und auf der anderen Seite haben wir die klassische Energiewelt, die auch in Zukunft eine zentral zu organisierende Versorgungssicherheit für z.B. Stahlwerke oder auch Privatkunden ohne Möglichkeit der Eigenerzeugung, z.B. Hochhausbewohner, sicherstellt. Keine neue Energiewelt ohne Einbettung in eine sichere, klassische Energiewelt. Und wir bei EON sind stark genug, um beides zu machen. Aber dies geht am besten mit zwei selbständigen, fokussierten, starken Unternehmen.
UHLIG: Aus politischer Überzeugung?
THEYSSEN: Das ist keine politische Überzeugung, sondern eine, die aus der Technik kommt, aus veränderten Kundenbedürfnissen, Kundenwünschen und aus globalen Megatrends – wie z.B. der potenzialen kleinteiligen Produkte aus erneuerbaren Energien, der Urbanisierung oder der Digitalisierung. Das sind die eigentlichen Antriebsüberzeugungen, die uns leiten.
UHLIG: Ein Ministerpräsident sagte einmal, den Umbau der Energieversorgung sollten alle sehen, riechen, schmecken. Stimmen Sie dem zu?
TEYSSEN: Da ist was dran. Wir haben uns früher auch gefragt, wie wir die Verbraucher stärker zum Wechseln motivieren können. Sein neues Auto kann man sich vor die Tür stellen und bewundern, das Produkt Strom ist unsichtbar und kein Prestigeobjekt. Deswegen hat er Recht. Der emotionale Mehrwert muss aus anderen Quellen kommen. Jetzt sieht man plötzlich Menschen, die entweder eine Solarzelle auf dem Dach oder eine Batterie im Keller haben oder mit den Nachbarn Strom teilen. Wir sehen, wie Smart Cities entstehen, z.B. die Innovation City in Bottrop, in Malmö oder morgen in Berlin. Da wird Energie für Menschen plötzlich erlebbar und es entsteht ein anderer Umgang mit dem Thema. Ich weiß nicht, welcher kluge Ministerpräsident das gesagt hat, aber ich stimme ihm zu.
ANDERSON: Die Geschichte von EON ist geprägt von Veränderungen. Erst die Entstehung aus der Fusion VEBA/Viag und immer wieder Investitionen und Desinvestitionen. Wie wichtig ist die Diversifizierung einerseits und das Integrieren und Desintegrieren von Geschäftsfeldern und Bereichen andererseits?
TEYSSEN: Es gibt die großen Wegmarken, mit denen Sie völlig neue Wege einschlagen. Und dann gibt es die Umsetzungsstrategien, die diese Wegmarken ausformen und anpassen müssen. Aus meiner Sicht gibt es drei große Epochen bei EON. Und EON, Sie haben Recht, umfasst dabei auch die VEBA-Geschichte. Es ging bei der Gründung und Privatisierung bis in die sechziger Jahre um den Aufbau eines deutschen Industrie-Konglomerats und das Herauslösen aus der staatlichen Finanzverwaltung. Und dieses Buch wurde 1999 abgeschlossen. Das zweite Buch haben dann Ulrich Hartmann und Wilhelm Simson begonnen mit dem Umbau zu dem größten privaten europäischen Energiekonzern. Und das dritte Buch, das schlagen wir demnächst mit der anstehenden neuen Fokussierung auf. Heute sind ganze Märkte, in denen wir früher erfolgreich waren, nicht mehr existent oder verschwinden. Beispiel: Atomausstieg. Wir gehen mit einem ganz anderen Verständnis in die Zukunft. Meine Aufgabe als siebter Vorstandvorsitzender ist es auch, dafür zu sorgen, dass ein guter achter aufgebaut wird und gute Chancen vorfindet. Und dass die Kapitel dann erfolgreich weitergeschrieben werden können.
ANDERSON: Im dritten Buch geht es sicher um die Kapitel Energiewende und Digitalisierung, oder? Hierbei interessiert uns natürlich, wie diese Veränderung in die Organisation gebracht wird? Wie war die Wirkung auf Ihre Mitarbeiter?
TEYSSEN: Die eigentliche Energiewende ist global und diese war für uns entscheidend. Was uns treibt, ist eine Grundüberzeugung, und die gilt in Perth/Australien, in Phoenix/Arizona, in Malmö/Schweden und in Coventry/England. Das, was Innovatoren machen und was Menschen sich wünschen, ist für mich fundamental, nicht vorrangig die häufig zu eng und viel zu deutsch gedachte hiesige Energiepolitik mit ihrer spezifischen Ausprägung: Wie gehe ich speziell mit der deutschen Kernenergie um, wie subventioniere ich die eine oder andere Technologie? Erreiche ich jetzt irgendein selbst gestecktes rein nationales CO2-Zwischenziel oder nicht? Das sind zwar alles nationale politische Aufgaben und Ziele, die wir respektieren müssen. Aber solche Überlegungen dürfen ein internationales Unternehmen nicht fundamental und ausschließlich bestimmen. Entscheidend ist, was unsere Kunden überall in der Welt wünschen und was an technischen Möglichkeiten für sie existiert. Das ist viel wichtiger als der genaue Ausformungsrahmen der deutschen Energiewende. Von daher gehe ich mit vollem Respekt mit der so genannten Energiewende um, aber die anderen, globalen Trends sind die wichtigeren.
ANDERSON: Wie werden Mitarbeiter dazu motiviert, diese Herausforderung anzunehmen, Höchstleistungen zu bringen und mit Freude dabei zu sein?
TEYSSEN: Unsere Mitarbeiter leben ja nicht in unseren Kraftwerken. Sie sind Teil der Gesellschaft. Und sie erleben die Veränderungen genauso ambivalent. Manche Veränderungen machen ihnen Angst. Und auf der anderen Seite entsteht Angst, wenn das Unternehmen nicht auf Veränderungen reagiert. Einfach fest zusammenhalten mit einer Wagenburgmentalität, das trägt nicht. Ich als Vorstand sehe diese vielfältigen Sorgen und gleichzeitig die Bereitschaft, unsere Veränderung mitzugehen. Veränderung ist wahrscheinlich immer ein Drahtseilakt. Es scheint mir so ähnlich zu sein wie in einer Auswandererfamilie. Diese Familien wissen auch nicht, was auf sie zukommt, aber sie wagen es. Die psychischen Anpassungsprozesse für unsere Mitarbeiter sind ähnlich denen bei einer Veränderung in der Familie oder einer Beziehung.
ANDERSON: Noch mal zum Thema Mitarbeitermotivation. Die neuen Formen der Energie und ihre Nutzungsmöglichkeiten – wird das rückgekoppelt in die Mannschaft? Kommt da ein Veränderungsmomentum auf?
TEYSSEN: Ja, klar. Aber das erleben die Mitarbeiter wahrscheinlich häufig eher indirekt. Der Vorsitzende eines englischen Versorgers sagte mir mal, der öffentliche Druck auf die Energieversorger hätte die Mitarbeiter zunehmend belastet. Bei Weihnachtsfeiern gab es einen Tisch für den Ingenieurbetrieb, einen für die Bank oder Sparkasse und hinten in der Ecke war irgendwo der Energieversorger-Tisch. Und dann kam der Conférencier und begrüßte jeden Tisch. Bei allen wurde höflich geklatscht und beim Energieversorger wurde gebuht. Das belastet Menschen. Und hier setzt bei uns der Motivationsschub an. Heute ist EON auf einer Art positiven Reise in die neue Zukunft, wir sind ein Energiewende-Camp im globalen Sinn. Dafür bekommen wir Anerkennung und Respekt. Und wenn man etwas Nettes hört, fühlt man sich auch gleich besser. Ganz unabhängig davon, ob alle Kritik davor berechtigt war oder nicht.
UHLIG: Das heißt, mit Lob motivieren Sie mehr – als mit Kritik…
TEYSSEN: Ich hatte gestern hier einen Kreis von Führungskräften. Darin kam auch zur Sprache, dass einige sich von mir eingeschüchtert fühlen. Ganz ehrlich: Das hat mich erstaunt. Dennoch denke ich darüber nach. Wie viele andere, neige wohl auch ich gelegentlich dazu, über die Probleme mehr zu reden als über die Erfolge. Ich kommuniziere häufig wohl zu wenig Positives und zu viel Negatives. Aber ich weiß wenigstens, dass ich es anders machen müsste und bemühe mich darum.
UHLIG: Sie sprachen gerade von Verantwortungsethik. Welche Rolle spielt diese für Sie?
TEYSSEN: Wenn Sie für ein Unternehmen, und damit für viele Menschen, verantwortlich sind, dann geht das über ein rein eigennütziges und betriebswirtschaftliches Denken hinaus. Dann besteht eine Gesamtverantwortung für die Menschen im Unternehmen und in der Gesellschaft, der Sie sich stellen müssen – gerade in der Energiewirtschaft. Und dafür brauchen Sie ein Koordinatensystem, das über den Tag hinausgeht. Dieses Koordinatensystem besteht nicht aus bedruckten Geldbeuteln, sondern aus dem Verständnis für die gesellschaftliche Verantwortung, die Sie tragen.
UHLIG: Welche Eigenschaften sollte man als CEO eines der größten Konzerne Deutschlands haben? Sie wirken auf mich ruhig und gelassen…
TEYSSEN: Das gehört dazu. Wenn der Kapitän hektisch über die Brücke flitzt, dann wird die Mannschaft ganz nervös und die Passagiere stehen schon mal schnell vor den Rettungsboten. Also Sie müssen auf jeden Fall eine gewisse Gelassenheit ausstrahlen, selbst wenn Sie diese einmal nicht empfinden sollten.
UHLIG: Und: Welche Eigenschaften haben Ihnen besonders geholfen, so erfolgreich zu sein?
TEYSSEN: Ich wurde nicht als Vorstand geboren, ich komme aus keiner Manager-Familie. Ich glaube, sie müssen eine hohe Lernbereitschaft mitbringen, sich von guten Kollegen etwas abgucken. Sie müssen auch eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit haben und eine intellektuelle Neugierde auf Neues verspüren. Sie müssen Rückschläge und Katastrophen wegstecken können, denn das gehört zum Alltag. Daran darf man nicht verzweifeln oder sich allein die Schuld geben. Diese Frustrationstoleranz ist ziemlich hilfreich. Und man sollte strategisch denken und handeln, große Linien von kleinen Themen trennen können und sich für die großen ausreichend Zeit nehmen. Der Rest ist Beiwerk. Kommunikationstalent ist natürlich hilfreich. Aber ich kenne ein paar hervorragende Vorstandsvorsitzende, die ganz große Schweiger sind. Ich glaube zum Beispiel auch nicht, dass man Charisma braucht, denn das geht oft Hand in Hand mit Narzissmus. Ganz wichtig ist schließlich eine Art feste Werteorientierung, die man am besten schon von zuhause mitbekommen hat.
UHLIG: Welche Rolle spielen Ängste bei schwerwiegenden Entscheidungen?
TEYSSEN: Die gehören dazu – und die muss man auch zulassen. Gefährlich wird es, wenn man sie nicht anerkennt, nach der Devise „Männer haben keine Angst“. Ich habe immer wieder Angst gehabt. Zum Beispiel vor der Fernseh-Talkshow mit Maybritt Illner zum Thema Fukushima 2011. Sie wissen, Sie sind das vorgesehene Opfer des Abends, jeder will Sie fertigmachen. Aber das ist eine Aufgabe, der man sich stellen muss. Also Angst ist etwas ganz Normales, jeder zu Hause hat Angst vor Situationen wie Scheidung oder Krankheit in der Familie. Und es wird besser, wenn sie mit ihr umgehen als wenn sie sagen, darüber möchte ich lieber nicht nachdenken.
UHLIG: Vor welchen großen Projekten oder Entscheidungen hatten Sie am meisten Angst?
TEYSSEN: Daran kann ich mich nicht mehr so genau erinnern.
UHLIG: Dann war die Angst nicht so groß…
TEYSSEN: Die Antwort war rhetorisch. Natürlich kann ich mich erinnern, aber nicht alles sollte man sagen.
UHLIG: Über Ängste zu sprechen, ist auch nicht immer so einfach.
ANDERSON: Dann kommen wir vielleicht noch einmal zum Thema Führung als wichtiger Bestandteil der Umsetzung Ihrer Unternehmensstrategie Die Welt wird dynamischer. Wie verändert sich Führung bei Ihnen in der neuen EON?
TEYSSEN: Das werden wir erleben, wenn die neue EON da ist, oder? Das ist noch einige Zeit hin.
ANDERSON: Verändert sich Ihr Anspruch an die Führung der neuen EON?
TEYSSEN: Führung hat sich immer geändert. Führung ist sehr stark situativ, und gute Führung ist vielfältig und anpassungsfähig. Manche Unternehmen haben ja ein fixes Führungsbild, aber das widerspricht meinem Menschenbild. Das geht nicht von einem Normmenschen und auch nicht von einem Normführer aus. Ich habe in meinem Leben hervorragende und gruselige Leute erlebt, die sehr hierarchisch und autoritär geführt haben. Und ich habe auch genauso hervorragende und gruselige partizipative Führer erlebt. Das Ganze hat gleichermaßen mit dem Führenden zu tun wie mit den Menschen, die geführt werden. Es gibt Menschen, die können nur in einer bestimmten Weise führen. Alles andere ist ihnen fremd, und sie verlieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie nach irgendeinem anderen Bild handeln. Übrigens können Mitarbeiter nicht selten ganz prima mit einem hierarchischen Führungsstil leben. Vorausgesetzt, der Chef ist ein ehrlicher Mensch und sehr kompetent. Und ein kooperativer Chef, der nach den neuesten Managementmethoden führt, bekommt kein Bein auf den Boden, wenn er nicht glaubwürdig ist. Daher bin ich kein Anhänger eines bestimmten Führungsbildes für alle und jeden.
UHLIG: Gab es ein Führungsvorbild für Sie?
TEYSSEN: Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit meinem Vorgänger Ulrich Hartmann. Als wir uns kennen lernten, waren wir uns sehr fremd. Er gehörte zu einer ganz anderen Generation. Aber irgendwann haben wir uns besser kennen gelernt, und ich gehöre heute zu seinen ganz großen Bewunderern – und war stolz darauf, seine Nachrufrede halten zu dürfen.
ANDERSON: Kommunikation wird ja in jeder Branche immer wichtiger…
TEYSSEN: Ja, aber in Zeiten der sozialen Medien können sie das nicht mehr so schön kontrollieren wie früher. Dann nimmt Sie keiner mehr ernst. Sie müssen sofort agieren und auch hartes Feedback aushalten. Ich glaube aber, jede Generation und jedes Umfeld erlebt immer wieder Brüche und Veränderungen, und dann passen sich Führung und Kommunikation an – so ist das. Vielleicht sollten wir uns mal nicht so wichtig nehmen. Unsere Führungsbilder und unser Kommunikationsverhalten ändern sich und haben sich immer geändert.
ANDERSON: Aber es gibt ein paar Konstanten dabei, Sie haben es gerade eben gesagt, Integrität und Ehrlichkeit. Das hat ja auch mit der Erziehung in der Familie zu tun.
TEYSSEN: Natürlich bin ich geprägt von meiner Biografie. In meiner Familie wurden noch alle Mahlzeiten zusammen eingenommen. Es wurde viel geredet – aber am Ende wurde durchaus auch mal autoritär entschieden. Dadurch habe ich viel gelernt.
ANDERSON: Welche Art von Mitarbeiter ist denn bei EON richtig aufgehoben?
TEYSSEN: Das ist genau wie bei der Führung. Jeder, der sein Handwerk versteht und die charakterlichen Eigenschaften mitbringt, die ein gutes Miteinander ermöglichen, ist willkommen. Es geht doch auf jeder Ebene und in jedem Bereich um die gleichen Werte wie Integrität, Souveränität und Verlässlichkeit. Heute kommt noch Veränderungsbereitschaft hinzu. Ob die Mitarbeiter kurze, lange oder gar keine Haare haben und woran sie zuhause glauben, das ist alles egal.
ANDERSON: Unser Thema ist ja Veränderungsbereitschaft. Ich wage mal die Hypothese: Wenn ich vor 15, 20 Jahren zur VEBA gegangen bin, dann hatte ich bis zur Rente ein gutes Auskommen.
TEYSSEN: Ein Versorger, haben wir gesagt. Wir hatten das mal nach Bildern sortiert. Was für ein Bild hat man von Versorgern, haben wir Kunden gefragt. Da kam dann Opelfahrer mit gehäkelter Klopapierrolle auf der Hutablage raus. Das Bild des guten Mitarbeiters war geprägt von der Idee, dass er oder sie sehr stetig und kontinuierlich arbeiten sollte. Das können wir heute nicht mehr gewährleisten und deswegen brauchen wir Menschen, die Veränderung nicht nur aushalten, sondern Veränderung wollen und aktiv mit vorantreiben. Ich bin sicher, auch das Eigenbild meiner Mitarbeiter ist heute ein ganz anderes geworden. Unsere Mitarbeiter sind genauso offen und veränderungsbereit wie in anderen Unternehmen.
UHLIG: Haben Sie eine Vorstellung, einen Wunsch, wie EON in 10 Jahren aussehen könnte?
TEYSSEN: Nein. Eine erfolgreiche EON wäre schön. Also ich habe jetzt kein konkretes Zukunftsbild. Manche kennen ja angeblich heute schon die Energiezukunft von 2050. Ich sage: Das sind alles Illusionisten. Denken wir 35 Jahre zurück. Hätte damals einer gesagt, wir würden in diesem Land heute mehr als 25 Prozent des Stroms aus Wind und Sonne gewinnen – der wäre eingesperrt worden. Und ob jetzt in weiteren 35 Jahren wirklich alles aus Wind und Sonne oder doch wieder teilweise woanders herkommt oder neue, noch bessere Möglichkeiten gefunden werden, das weiß ich doch nicht. Und die anderen wissen es auch nicht. Ich hoffe, E.ON ist besser als andere in der Lage, sich an Marktbedingungen anzupassen und auf seine Kunden zu hören. Dann gelingt auch alles andere.
ANDERSON: Es wird sich wahrscheinlich massiv ändern – allein schon mit Blick auf die Digitalisierung.
TEYSSEN: Nehmen Sie das Beispiel der Zeitungen. Wenn ich sehe, wie dick früher meine Samstag-Zeitung war und was heute teilweise an Flugblattformaten ins Haus kommt. Meine Kinder holen alle Informationen nur noch aus dem Internet. Oder Bankgeschäfte: Ich bin früher immer in meine Sparkasse gegangen, und heute regeln meine Frau und ich alles über das Internet. Auch unsere Branche wird von der Digitalisierung genauso durchgerüttelt wie die meisten anderen. Und das hat Auswirkungen auf alle Bereiche – auf Produktionsgeräte, auf Steuerungselektronik, Transport, Nutzung, Kommunikation, Vertragsprozesse, Plattformbündelung und so weiter.
ANDERSON: Wie nutzt EON die Chancen, die sich mit der Digitalisierung ergeben?
TEYSSEN: So gut wie wir es können, wobei ich nicht behaupten würde, dass wir Frontrunner der Digitalisierung sind. Wir haben aber einige Kompetenzen in der digitalen Geschäftseinheit gebündelt, um von dort aus die gesamte Organisation stärker treiben zu können. Wir digitalisieren beispielsweise Vertriebsprozesse und betreiben einen übergeordneten Think Tank. Und da versuchen wir, neue Produkte und veränderte Geschäftsprozesse zu organisieren und zu gestalten.
ANDERSON: Spielt aus Ihrer Sicht die Unternehmensgröße eine Rolle bei der Digitalisierung?
TEYSSEN: Die Digitalisierung hat diesen Unterschied endgültig aufgehoben. Trotzdem hilft Größe manchmal, sich bestimmte Dinge leisten zu können. Aber grundsätzlich ist der fundamentale Unterschied zwischen Groß und Klein in vielen Branchen aufgehoben. Gleichzeitig sehen wir aber am Beispiel Google und Amazon, dass plötzlich auch im Internet die Megagröße wieder zählt. Bei Energie sind wir allerdings nicht in der Google-Welt.
UHLIG: Letzte Frage: Wie lautet Ihr bestes Rezept für Führung in Veränderungsprozessen?
TEYSSEN: Seien Sie ein guter Menschenfischer im besten Sinne des Wortes. Ich glaube, eine wirklich starke Führungspersönlichkeit ist in der Lage, Menschen zu finden, zu identifizieren und zu fördern, die selbst wieder das Zeug zur Führung oder zur Handlung haben. Darum geht es: zu wissen, dass Führungspersönlichkeiten kleinere oder größere Menschenfischer sein sollten.