Christian Krug, Chefredakteur Stern, im Interview mit Jane Uhlig für die Buchpublikation „Das agile Unternehmen – Wie Organisation sich neu erfinden“ (Campus Verlag) von Kai Anderson und Jane Uhlig
„Wir können unserer Informationspflicht nachkommen und die Politiker dafür sensibilisieren, welch gesellschaftlicher Sprengstoff da heranwächst“
UHLIG: Das Thema ist Veränderung. Was bedeutet für Sie Veränderung?
KRUG: Veränderung ist eine wesentlich treibende Kraft in meiner Biografie. Vielen Menschen geht es ja so: Sie haben ein Ziel vor Augen, und wenn sie es dann erreicht haben, setzt so ein Trägheitsmoment ein. Der Stern war so ein Traum für mich als junger Journalist. Ich habe meine ersten Berufserfahrungen bei einer Tageszeitung gemacht und dachte: Mensch, eines Tages gehe ich mal zum Stern und werde da Reporter. Und dann hatte ich diesen Traum schon mit 24 Jahren erreicht! Ich hätte dann einfach 20 oder 40 Jahre weiter machen können, habe mich nach sieben Jahren aber entschieden, noch mal eine große Veränderung in meinem Leben zu wagen. Ich habe also den sehr schönen und sehr sicheren Job aufgegeben und bin zum Fernsehen gegangen. Das war absolutes Neuland für mich. Stefan Aust stellte mich damals ein, und er sagte zu mir: „Fernsehen, das kann jeder innerhalb eines Vierteljahres lernen, das ist ganz einfach! Das Einzige, was du können musst, ist, eine Geschichte erkennen und sie stringent erzählen. Den Rest macht der Kameramann.“ Dieser Mut zur Veränderung und die Erfahrung, dass das Experiment damals nicht schiefgegangen ist, haben mich sehr optimistisch in die Zukunft blicken lassen. Ich habe diese Herausforderung im Laufe meines Berufslebens dann noch mehrmals gesucht und mich immer wieder verändert. Und heute bin ich Chefredakteur beim Stern. Wahrscheinlich wäre mir dieser Job ohne die Erfahrungen, die ich zwischenzeitlich gesammelt habe, gar nicht angeboten worden, weil ich mich nicht so sehr von anderen Kandidaten unterschieden hätte.
UHLIG: Sie kommen aus einer Journalistenfamilie. Heißt das, Journalismus wurde Ihnen schon in die Wiege gelegt?
KRUG: Nicht direkt in die Wiege, aber Journalismus war bei uns zuhause tatsächlich ein tägliches Gesprächsthema. Wenn meine Eltern die Tageszeitung aufgeschlagen hatten, haben sie die ganz anders gelesen als ein Nichtjournalist: Wie hat der Autor das umgesetzt? Wie ist der Blickwinkel aufs Thema? Wie ist die generelle Sichtweise des Mediums? Darüber wurde zuhause gesprochen. Deswegen hatte ich schon in der Schule eine große Affinität zum Fach Deutsch. Die Sprache und alle verwandten Fächer wie Philosophie, Theaterunterricht – also im weiteren Sinne das, was man so humanistische Bildung nennt – das ist schon Familientradition.
UHLIG: Was möchten Sie beim Stern verändern? Welche Botschaft soll der Stern in Zukunft an die Gesellschaft senden?
KRUG: Der Stern ist ein progressiv-liberales Medium. Alle relevanten gesellschaftlichen Veränderungen und gesellschaftspolitischen Strömungen hat der Stern seit seiner Gründung im Jahr 1948 begleitet – vom Umgang mit der NS-Vergangenheit über die Frauenrechte bis hin zum Aufbruch in eine moderne, nachindustrielle Gesellschaft mit ihren digitalen Arbeitswelten. So hat der Stern das Thema Abtreibung enttabuisiert und eine langjährige Debatte angestoßen. 1971 erschien einer der bis heute bekanntesten Titel von Henri Nannen mit der Schlagzeile „Wir haben abgetrieben“ und vielen Frauenportraits. So haben alle großen Themen im Stern ihren Platz. Und da kommen wir auch wieder zum Thema Veränderung. Natürlich liegen Welten zwischen einer Ausgabe des Stern aus dem Jahr 1950 und heute. So wie die Welt und die Gesellschaft sich verändern, so verändert sich auch der Stern. Damals hat man vor allen Dingen über Stars berichtet, über Filmprojekte. Als Marlene Dietrich und Hildegard Knef nach Amerika zogen, waren das Sensationsgeschichten. Heute ist ein Star aus der Unterhaltungsbranche auf dem Cover des Sterns eher eine Seltenheit. Wir leben in politisch und wirtschaftlich sehr unsicheren Zeiten, die Weltordnung verändert sich massiv. Da liefert der Stern verlässliche Hintergrundinformationen und Einordnung und lässt verschiedene Stimmen zu Wort kommen. Natürlich kommt der Unterhaltungsaspekt auch heute nicht zu kurz, auf die richtige Mischung kommt es an. Was den Stern immer auszeichnet, sind seine guten und hervorragend recherchierten Texte und exzellente Fotografie. Sie gehören zu seiner DNA. Unsere Botschaft heute ist: Wir schauen genau hin.
UHLIG: Was genau verändert sich beim Stern?
KRUG: Die generelle Herangehensweise an eine Geschichte verändert sich. Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel: Als der Fifa-Skandal mit Sepp Blatter hochkam, mussten alle Medien schnell reagieren. Online war das sofort eine News, und auch die Tageszeitungen brauchten umgehend Berichte. Fakt ist aber, dass weder Blatter noch jemand anderer vom Exekutivkomitee zu sprechen war. Uns war diese Ausgangslage inhaltlich zu dünn. Wir wollten eine der Personen, die im Mittelpunkt der Ermittlungen stand, auch ins Zentrum unserer Story stellen. Also haben wir einen Reporter nach Trinidad und Tobago geschickt, um den Politiker und Ex-Vize von Blatter, Jack Warner, aufzuspüren und mit ihm zu sprechen. Unser New-York-Korrespondent war der Einzige, der mit einem der Hauptverdächtigen dieses Skandals sprechen konnten. Warum? Weil er hingefahren ist. Weil wir die Reportertugenden ernstgenommen haben und nicht einfach aus der Redaktion heraus Stimmung zum Thema Fifa gemacht haben, sondern den ganzen Komplex investigativ angegangen sind. Unser Artikel wurde dann bis zur Indian Times zitiert. Dieses Dicht-dran-sein am Objekt und an den handelnden Personen, das ist das Wichtigste für den Stern.
UHLIG: Da muss ich Ihnen ein Kompliment machen. Heute hatte ich ein anderes Wochenmagazin in der Hand. Dort hat mich eine Geschichte ziemlich gelangweilt.
KRUG: Ein Wochenmagazin muss sich immer fragen: Was addiere ich noch hinzu? In der Zeit vor dem Internet war das nicht so wichtig, die Informationsdichte war nicht so hoch. Durch die moderne Medienlandschaft hat sich auch der Anspruch an eine gute Geschichte erhöht. So berichten auch Tageszeitungen heute wie Wochenzeitschriften, sie haben das portraithafte Erzählen für sich entdeckt und bringen insbesondere in den Wochenendausgaben lange Geschichten. Die drei wichtigsten Fragen für die Stern-Redaktion sind daher immer: Was ist neu, was haben wir alleine, was addieren wir dazu.
UHLIG: Sie wollen also praktisch bei allen Reportagen direkt an die Schlüsselperson heran, um daraus eine gute Geschichte zu machen.
KRUG: Das ist eine Tradition des Stern, die wir wieder stärken: der investigative Journalismus. In der veränderten Medienlandschaft verschafft er uns einen klaren Vorteil. In der Regel hat ein Onlinedienst weder die finanziellen Möglichkeiten noch die Infrastruktur, um Reporter in die Welt zu schicken. Sie fungieren eher wie eine Art Staubsauger, der sich aus dem Netz alle Informationen zusammensucht und sie neu konfiguriert. Das reicht dem Leser, der hier schnell informiert werden will. Die Tiefe der Information leistet auch heute noch meist ein Printmedium. Und das wird auch noch lange so bleiben, vorausgesetzt, sie konzentrieren sich auf das, was sie am besten können: antizipieren, was von der Nachrichtenlage beim Leser schon bekannt ist und diesem Bekannten etwas Neues hinzufügen.
UHLIG: Der Veränderungsprozess liegt darin, dass Sie die Tradition wieder aufleben lassen. Kann man das so sagen?
KRUG: Jedes Unternehmen braucht immer mal wieder den Blick zurück, verbunden mit der Frage: Wie hat eigentlich alles angefangen, wo war meine größte Stärke und worin besteht oder bestand unsere Marktführerschaft? Das ist in der Mode, in der Automobilindustrie, bei den Technikherstellern und eigentlich in allen Wirtschaftsbereichen so. Steve Jobs ist hierfür ein Paradebeispiel: Irgendwann ging es Apple nicht mehr gut, er musste das Unternehmen verlassen. Apple entwickelte sich zu einem Laden, der alles Mögliche produzierte, und wusste bald nicht mehr, wo er hingehört. Dann haben sie Steve Jobs zurückgeholt, und er tat genau das, was ich beschrieben habe. Er konzentrierte sich auf die Dinge, die Apple großgemacht hatten: Innovation, Design und intuitive Bedienung. Ein weiteres Beispiel ist Levi’s, die Jeansmarke kam ebenfalls an einen Punkt, an dem sie sich die Frage stellten: Wo haben wir angefangen, und warum waren wir besser als die anderen? Auch für eine Medienmarke wie den Stern lohnt sich dieser Blick zurück. Und meine Antwort ist, dass der Stern am stärksten war, als er die Reporterkultur besonders ernstgenommen hat.
UHLIG: Wie viel Henri-Nannen-Kultur ist heute noch vorhanden?
KRUG: Sehr viel. Henri Nannen hatte die für den Stern wichtigste Eigenschaft: Er war immer neugierig auf die Welt. Vielleicht war es die eintönige Landschaft seiner friesischen Heimat, wo die größte Erhebung eine schwarzbunte Kuh war, die ihn so neugierig werden ließ. Seine Neugier auf die Welt prägt den Stern noch heute.
UHLIG: Wie werden die Mitarbeiter mitgenommen in dieser Phase?
KRUG: Es gibt für einen Redakteur oder einen Journalisten nicht Schöneres, als Reporter zu sein. Ich habe jedenfalls noch keine Stimme gehört im Haus, die gesagt hätte: Lass uns nicht mehr so viele Reisen machen.
UHLIG: Das ist doch gut. Wie wurden Sie damals mitgenommen?
KRUG: Ich brauchte mich ja nur zurück erinnern an das, was ich hier beim Stern als junger Mann erlebt hatte. Der Stern hat mich in die entlegensten Winkel der Welt geschickt, von den 200 UN-Nationen habe ich Dutzende besucht. Das war eine große Bereicherung und hat mich auch gebildet in dem Sinne, dass ich ein großes Verständnis für die unterschiedlichen Probleme in der Welt habe. Für einen Stern-Chefredakteur ist das sicherlich wichtig.
UHLIG: Ich habe ein Portrait im Tagesspiegel über Sie gelesen … und hatte Sie mir ganz anders vorgestellt
KRUG: Wissen Sie, warum? Es gibt eine Journalistin, mittlerweile pensionierte Reporterin vom Hamburger Abendblatt, die sich die Mühe gemacht hat, sich mit mir auseinanderzusetzen. Sie hat mir die entscheidenden Fragen gestellt. Viele andere Kollegen haben das eigentlich nur abgeschrieben – und das auch noch fehlerhaft. Ich finde es hochinteressant, als Journalist mitzubekommen, wie viele Geschichten über einen kursieren, die gar nicht stimmen. Weil sich überhaupt niemand die Mühe gemacht hat, mich mal anzurufen. Das sagt etwas über die Berufseinstellung aus.
UHLIG: Ich sehe hier einen ernsthaften Journalisten sitzen. Das heißt, dass die Zeitungen ein ganz anderes Bild von Ihnen vermitteln. Jemand, der Sie nicht kennt, stempelt Sie schnell als People-Journalist ab … das klingt nach Boulevard. Das müssen Sie eigentlich geraderücken, oder?
KRUG: Das Schöne ist ja: Die Leute, die mit mir arbeiten, kennen mich. Für einige Journalisten ist es schwer verständlich und vielleicht auch schwer zu ertragen, dass jemand sowohl die Gala als auch den Stern machen kann. Ich sehe das anders. Ich traue mir zu, sehr unterschiedliche Heft machen zu können. Es gibt aber Leute, die einen in eine bestimmte Schublade stecken. Das wäre doch aber so, als ob ein Schlagersänger seine Lieder leben würde. Das ist völlig absurd. Um im Bild zu bleiben: Ein guter Jazz-Pianist kann auch ein klassisches Stück oder Popmusik spielen. Wenn man gut ausgebildet ist in einem Beruf, dann wird man auch seine unterschiedlichen Facetten ausüben können. Und so sehe ich mich auch.
UHLIG: Und das ist das Besondere an Ihnen?
KRUG: Meine beruflichen Erfahrungen – von großen Verlagsstrukturen über Fernsehproduktionen bis zu viel kleineren Verlagen und Corporate Publishing – haben mir einen guten Blick auf den heutigen Journalismus verschafft und lassen mich gelassener auf das große Ganze sehen. Wer 20 Jahre für das Feuilleton einer Zeitung schreibt und immer für Sachbücher zuständig war, hat natürlich ein recht enges Sichtfeld. Daher fördern wir beim Stern übrigens auch intern die Veränderung von Mitarbeitern. Ich begrüße es beispielsweise sehr, wenn jemand aus dem deutschen Politik-Ressort ins Ausland-Ressort geht und sich umsieht in der Welt. Jeder Stern-Redakteur, der schon einmal Korrespondent war, ist an dieser Aufgabe gewachsen und kam deutlich schlauer und produktiver zurück als er hingefahren ist.
UHLIG: In welche Richtung sollte sich Journalismus Ihrer Meinung nach verändern? Oder anders gefragt: Wie muss er sich verändern, um zukunftsfähig zu bleiben?
KRUG: Da gibt es grundsätzlich mehrere Modelle. Eines verfolgt der Guardian. Sein Credo ist: „Online first“ und Zweitverwertung in der Zeitung. Das funktioniert hervorragend, publizistisch ist der Guardian eines der globalen Leitmedien. Allerdings ist es ein defizitäres Geschäftsmodell, das nur dank der Stiftung im Rücken überlebt. Wenn wir das genauso machen wollten, bräuchten wir auch eine Stiftung. Ein anderes Modell ist das der New York Times. Die sagen, sie müssen online immer mehr bieten. Der größte Teil der Gewinne wird dort aber immer noch mit Print erwirtschaftet. Für Deutschland muss man berücksichtigen, dass wir mit unserer Sprache kein weltweites Vermarktungspotential haben. Aber auch innerhalb unseres Sprachraums gibt es unterschiedliche Antworten auf die Zukunft des Journalismus. Ob Springer, Bauer oder Gruner + Jahr – da geht jeder Verlag seinen eigenen Weg. Wie eingangs schon ausgeführt, glaube ich an die gute Geschichte und das gute Foto, die einen exklusiven Zugang bieten, und an guten Journalismus, der glaubwürdig ist. Wir müssen neue Erlösmodelle erschließen, unsere Marke erweitern und überall dort Information bieten, wo unsere Leser sich aufhalten. Jede Woche erreicht die Marke Stern mehr als neun Millionen Menschen – etwa eine Million mehr als noch vor zehn Jahren!
UHLIG: Welche Anforderungen stellen Sie persönlich an Journalismus?
KRUG: Auf dem Weg an die Ostsee höre ich Radio und möchte darüber informiert werden, wie ich möglichst ohne Stau dort ankomme. An eine Tageszeitung und Online-Angebote habe ich den Anspruch, schnell Informationen zu erhalten und nur nachgeprüfte Wahrheiten darin zu finden. Dafür bin ich auch bereit, Geld auszugeben. Bei Wochen- und Monatszeitschriften erwarte ich tiefergehende Informationen, Originalität, Expertise, eine neue Annäherung ans Thema.
UHLIG: Welche Bedeutung haben die sogenannten Prominenten für den STERN?
KRUG: Die Menschen interessieren sich für bekannte Menschen. Das war schon immer so. Natürlich ist der Bürgermeister in einem Ort irgendwie wichtiger als die Friseurin. Er ist gewählt worden, hat eine herausragende Funktion, ist prominent. Und wenn wir das hochskalieren, waren natürlich Marilyn Monroe oder Elvis Presley die prominentesten Persönlichkeiten und fanden deshalb in einem Magazin wie dem Stern auch statt. Dann gab es aber eine durch das private Fernsehen ausgelöste Zäsur. Aus Mangel an echter Prominenz wurde künstliche Prominenz geschaffen. Da wurde plötzlich jeder zum Promi, der fehlerfrei vom Teleprompter ablesen konnte. Mit Stars und Sternchen wurde quasi ein eigener Markt geschaffen, ein Perpetuum mobile. Durch die Vielfalt der Namen sind eigentlich nur noch ein paar wenige Leute aus dem Fernsehen und Film wirklich präsent geblieben.
UHLIG: Ich denke, der Trend wird wieder in eine andere Richtung schwenken. Mit dem Stern können Sie ja diesbezüglich auch zur Veränderung der Gesellschaft beitragen. Den Fokus auf wirklich wichtige Persönlichkeit setzen. Haben Sie viele CEOs interviewt?
KRUG: Ich kenne mehr CEOs als ich interviewt habe, was auch sehr viel interessanter ist. Das Problem mit einem CEO-Interview ist folgendes: Wenn es wirklich relevant ist, muss er es vorher der Börsenaufsicht und dem Aufsichtsrat melden, weil er sonst wahrscheinlich gegen das Börsengesetz verstößt. Das Management hat derartig viele Karriere relevante Stolpersteine zu beachten, dass dabei in der Regel nicht die spannendsten Interviews herauskommen. Das ist aber kein Vorwurf an diese Leute. Die besten Interviews führt man in der Regel mit den Besitzern von Unternehmen, die können frei heraus reden und fürchten auch die Rezeption nicht so sehr.
UHLIG: Würden Sie es besser finden, wenn mehr CEOs bereit wären, Ihnen Interviews auch in schwierigen Zeiten zu geben?
KRUG: Unbedingt. Es würde das Vertrauen in die jeweils handelnden Personen und in die Unternehmen stärken, wenn man nicht nur bei gutem Wetter Interviews gibt, sondern auch, wenn es stürmt. Das hätte auch eine Vorbildfunktion. Schon Kindern bringt man schließlich bei, Krisen zu überwinden und nicht zu flunkern, wenn es mal eng wird. Amerikaner und Engländer gehen mit Niederlagen viel öffentlicher um, weil sie wissen, dass sie das stärker und glaubwürdiger macht.
UHLIG: Das heißt, wir haben hier generell ein Problem in Deutschland?
KRUG: Wir haben in Deutschland das Problem, dass Kommunikation tatsächlich nur noch im Erfolgsfall stattfindet. Im Falle einer etwas kritischeren Situation vergräbt man sich, gibt keine Interviews, vertröstet auf andere Zeitpunkte. Nehmen wir die Ölkatastrophe im mexikanischen Golf. Die Kommunikation war verheerend, weil die Unternehmungsführung die Antworten schuldiggeblieben ist. Was hat damals der BP-Chef gemacht? Er ist mit Freunden segeln gegangen. Darüber ist er zu Fall gekommen. Er hätte zu dem stehen müssen, was seine Firma angerichtet hat.
UHLIG: Ich glaube auch, dass Kommunikation in schwierigen Phasen Vertrauen schaffen kann, sofern Medien hier verantwortungsbewusst berichten.
KRUG: Nähe ist wichtig. Der Stern hat im April Jürgen Fitschen von der Deutschen Bank portraitiert, eine Woche bevor er das erste Mal in einem Prozess als Zeuge auftreten musste. Daraus ist ein Beitrag geworden, der ein differenziertes Bild von diesem Mann gezeichnet hat. Das Feedback war sehr gut, denn das war keine bestellte PR, und so wirkte es vertrauensbildend.
UHLIG: Welcher CEO hat Sie noch begeistert?
KRUG: Martin Winterkorn und Dieter Zetsche achte ich sehr. Sie leiten erfolgreich Weltfirmen in einem umkämpften Markt mit mehreren hunderttausend Angestellten. Dabei lassen sie sich nicht von ihrem Weg abbringen und zeigen Mut zu Veränderungen. Davor habe ich großen Respekt.
UHLIG: Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft. Die junge Generation aus den wohlhabenden Familien wird immer reicher. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?
KRUG: Das wird unsere Gesellschaft weiter spalten, vergleichbar sogar mit der frühen Aufteilung in Adel und Volk. Das sehe ich als große Gefahr.
UHLIG: Was kann der Stern dagegen tun?
KRUG: Wir können unserer Informationspflicht nachkommen und die Politiker dafür sensibilisieren, welch gesellschaftlicher Sprengstoff da heranwächst. Ich denke, dass sich die Besitzverhältnisse in den nächsten zehn Jahren radikal verändern werden.
UHLIG: Fehlt wohlhabenden Kindern der Biss?
KRUG: Einer der reichsten und zugleich schlausten Menschen ist Bill Gates. Soweit ich weiß, hat er seinen beiden Kindern nur einen kleinen Bruchteil seines Vermögens vererbt, der Rest geht in die Stiftung. Wer kann schon mit so viel Geld eine gute Entwicklung nehmen? Und das wusste er.
UHLIG: Zurück zum Journalismus: Welche Eigenschaften muss der Journalist der Zukunft mitbringen?
KRUG: Er muss deutlich breiter ausgebildet und technisch versierter sein als früher. Junge Journalisten müssen natürlich auch heute die klassischen Erzählweisen lernen: wie ist eine Geschichte aufgebaut, wie verläuft der Spannungsbogen. Einstieg, Mittelteil, Ende, das bleibt gleich. Aber dazu kommen ein technisches Verständnis für den crossmedialen Einsatz und die Vermarktung der Geschichte. Wie bringe ich meine Geschichte in die sozialen Medien, wie tease ich sie an usw. Das sind Fertigkeiten, die man früher nicht brauchte.
UHLIG: Ihr wichtigster Rat für Veränderungsfähigkeit.
KRUG: Mutig und entschlossen sein und keine Angst vorm Scheitern haben! Es ist ja nicht so, dass wir Journalisten Notärzte oder Piloten sind. In der Regel kosten unsere Fehlentscheidungen kein Menschenleben. Da bewundere ich die Gründer von Start-ups. Die haben eine Idee, eine Garage und ein paar tausend Euro. Los geht’s! Das finde ich ganz toll.